Elcom sieht Anreizprobleme im Schweizer Strommarkt

Auch an der diesjährigen ETH Energy Week gaben Experten aus der Wissenschaft, der Branche und der Politik spannende Einblicke in die Welt der Energie. Elcom-Geschäftsführer Urs Meister machte beispielsweise darauf aufmerksam, dass es in der Schweiz beinahe so viele Stunden mit stark negativen Strompreisen gibt, wie in Deutschland. Grund dafür seien vor allem Anreizprobleme.

by Mario Graf, energate messenger Schweiz
Urs Meister
"Offenbar gibt der Schweizer Rahmen den Akteuren besonders geringe Anreize, ihr Verhalten am Markt auszurichten": Elcom-Geschäftsführer Urs Meister am Symposium der ETH Energy Week. (Alessandro Della Bella, ETH Zürich)

"Offenbar gibt der Schweizer Rahmen den Akteuren besonders geringe Anreize, ihr Verhalten am Markt auszurichten", konstatierte Meister am Symposium der Veranstaltung.

Zuvor hatte der Elcom-Geschäftsführer erklärt, dass in der Schweiz in den ersten neun Monaten dieses Jahres bereits 168 Stunden mit sehr negativen Strompreisen aufgetreten seien. In Deutschland seien es 178 Stunden und damit nur unwesentlich mehr gewesen. Dies ist insofern erstaunlich, da in Deutschland anteilsmässig weit mehr fluktuierende Erzeugung wie Windkraft- und Solaranlagen installiert sind. "Sehr negativ" definierte Meister dabei mit Preisen von unter -5 Euro/MWh.

Produktionsanreize losgelöst vom Spotmarkt

Als Ursachen für die starke Häufigkeit solcher Preise in der Schweiz nannte Meister unter anderem die Ausgestaltung der Erneuerbaren-Förderung sowie die fehlende Strommarktöffnung. Die Pflicht der Netzbetreiber, Strom, der auf ihrem Netzgebiet produziert wird, abzunehmen und zu vergüten, wirke wie eine "einfache Einspeisevergütung", sagte Meister. Die Abnahme- und Vergütungspflicht für Netzbetreiber vermittle damit losgelöst vom Spotmarkt und damit auch bei negativen Preisen Produktionsanreize, hielt der Elcom-Geschäftsführer fest.

Meister ergänzte, dass sich dies auch mit dem neuen Stromgesetz nicht wirklich ändern werde. Zwar wird sich dadurch die Vergütung von Solarstrom, der in das Netz der Verteilnetzbetreiber eingespeist wird, neu nach dem vierteljährlich gemittelten Marktpreis richten. Die Vergütung wird somit etwas marktnäher als heute. Sie ist aber gemittelt, womit stundenscharfe Spotpreise auch künftig keine Rolle spielen.

Kostenbasierte Regulierung erschwert dynamische Tarife

Abgeschottet von kurzfristigen Marktsignalen sind in der Schweiz aber nicht nur teilweise die Produzenten, sondern auch die kleinen Konsumenten. "Kurzfristige Marktpreise spielen bei kleinen Verbrauchern schlicht keine Rolle", sagte Meister mit Blick auf die fehlende Strommarktöffnung. Ändern könnten dies dynamische Endkundentarife. Diese sind in der Schweiz zwar nicht formell untersagt. Regulatorische Gegebenheiten erschweren aber deren schnelle und flächendeckende Einführung.

Meister hielt dazu fest, dass sich dynamische Energietarife im schweizerischen Kontext mit kostenbasierten Energietarifen in der Grundversorgung nur schwer umsetzen liessen. Der Elcom-Geschäftsführer begründete dies auf Nachfrage damit, dass die effektiven Beschaffungs- und Gestehungskosten eines Netzbetreibers "erheblich von den kurzfristigen Spotpreisen abweichen" können. Weil kurzfristige Spotpreise die Grundlage für dynamische Tarife bildeten, seien solche Tarife daher mit grossen Unsicherheiten für die Netzbetreiber verbunden.

Klare Preissignale: Dynamische Energietarife im Vorteil

Meister folgerte daraus, dass dynamische Energietarife ohne eine vollständige Marktöffnung und damit bis auf Weiteres nur beschränkt Anwendung in der Schweiz finden werden. Damit verbunden zeigte er auch Verständnis dafür, dass sich die Netzbetreiber derzeit vor allem auf dynamische Netztarife konzentrieren. Der Elcom-Geschäftsführer liess sich die Anmerkung aber nicht nehmen, dass es aus Systemsicht sinnvoller wäre, wenn daneben auch dynamische Energietarife breiter Anwendung finden würden.

Meister argumentierte dabei vor allem damit, dass der Nutzen dynamischer Energietarife gegenüber jenem dynamischer Netztarife "offensichtlicher" sei. Er verwies dabei auf den Spotmarkt, aus welchem direkt "ein adäquates Preissignal" für dynamische Energietarife abgeleitet werden könne. Bei dynamischen Netztarifen hingegen seien die Unsicherheiten hinsichtlich der Ausgestaltung sowie auch der effektiven Vorteile ungleich grösser. So fehlten in der Schweiz und auch international Erfahrungen, etwa über längerfristige Wirkungen auf den nötigen Netzausbau. Damit verbunden seien Fragen hinsichtlich einer optimalen Ausgestaltung eines dynamischen Netztarifs.

Neues Format: "Coffee with Scientists"

Am Symposium der ETH Energy Week informierten mit den Energiepolitikern Susanne Vincenz-Stauffacher (FDP) und Roger Nordmann (SP), Energie-360-Grad-Mobilitätschef Reto Baschera sowie Christian Schaffner, dem Executive Director des Energy Science Centers, weitere Grössen über Spannendes aus der Branche. Die ETH Energy Week beinhaltete für interessierte Fachleuten sowie die breite Bevölkerung zudem noch weitere Formate, um sich rund um das Thema Energie zu informieren und sich kritisch damit auseinanderzusetzen.

Beispiele hierfür sind etwa die EnAW-Fachtagung oder Online-Fokus-Dialoge zu Themen wie "Auswirkungen des Klimas auf die Energieinfrastruktur" oder "Investitionen in das Energiesystem". Neu war auch das Format "Coffee with Scientists". Dabei konnte man sich bei einer Tasse Kaffee mit Energieforschern und Energieforscherinnen unterhalten, Fragen zur Zukunft der Energieversorgung stellen und sich über die Energiewende austauschen.

Dieser Artikel erschien ursprünglich beim external page energate messenger Schweiz.

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